Das Kernelement von ITIL 4 ist die "neu geschaffene"
Wertschöpfungskette (Value Chain), die in der obigen Darstellung abgebildet wird. Sie bezeichnet die auf Organisationsebene wichtigsten Aktivitätsgruppen, die notwendig sind, um Mehrwert für den Kunden zu schaffen. Die
Wertschöpfungsströme (Value Streams) hingegen bezeichnen alle Ressourcen, Aktivitäten und Abhängigkeiten, die für die Wertschöpfung auf Einzelebene notwendig sind. Dabei handelt es sich um eine Kombination aus Aktivitäten, die möglicherweise von verschiedenen Rollen umgesetzt werden und Ressourcen (z. B. Produkte, Informationen oder Services) mit dem Ziel, Wert für den Kunden zu schaffen. Während der Ansatz ein Schritt in die richtige Richtung ist, bleibt er in der Literatur nur rudimentär beschreiben und lässt für die Umsetzung im Betriebsalltag viele Fragezeichen offen.
Die "neu geschaffene"
Customer Journey soll das in ITIL v3 bisher stiefmütterlich behandelte Business Relationship Management erweitern und soll den Kunden bzw. Nutzer vom ersten Interesse über die Aufnahme der Anforderung über die Bereitstellung des Service und die gemeinsame Wertschöpfung bis zur Ablösung einbeziehen. Allerdings ist auch dieses Modell bis dato relativ allgemein gehalten; effektive Implikationen für die Praxis gehen aus dem Rahmenwerk noch nicht klar hervor. Hier sehen wir vor allem einen Mehrwert für Organisationen, die ihre Services für externe Kunden erbringen. Nichtsdestotrotz können sicherlich auch interne IT-Organisationen von diesem Ansatz profitieren.
Innovation ist seit ITIL 4 ein fester Bestandteil des Gesamtkonzepts. Das zeigt sich durch die Integration von Design Thinking, was die Innovation mit Fokus auf dem Nutzer verbessern soll.
Viele der neu hinzugenommenen
Practices wie Projektmanagement, Risikomanagement und Organizational Change Management (OCM) sind unserer Meinung nach vor allem für kleinere Unternehmen ein sehr guter Einstieg und schaffen hier einen erheblichen Mehrwert, da das Modell alle relevanten Bereiche abdeckt. Für mittlere und grössere Unternehmen sind diese Practices aber sicherlich zu generisch und grob umrissen. Hier sind die entsprechenden spezifischen Methoden und Rahmenwerke (z. B. Scrum, Prince2 oder PMBOK in Bezug auf Projektmanagement und Prosci sowie ADKAR für OCM) ausgereifter als die entsprechenden ITIL 4 Practices.
Insgesamt stehen wir der Richtung, die ITIL 4 einschlägt, positiv gegenüber. Auch wenn dies kein eigenständiges Element darstellt, verweist das überarbeitete Rahmenwerk stark auf Umgebungsvariablen, die es zu berücksichtigen gilt, seien es der
Faktor Mensch und die soziale Komponente, gesetzliche oder ökonomische Veränderungen. Gerade in Zeiten von Corona ist ein Framework, das externe Faktoren berücksichtigt und die Rahmenbedingungen schafft, agil und kundenorientiert auf veränderte Anforderungen zu reagieren, enorm wertvoll.
An vielen Stellen sind neue Ideen aber noch nicht ausgereift genug, um sie tatsächlich direkt vom Lehrbuch in die Praxis zu übertragen, was den Umstieg allein auf ITIL 4 gestützt schwierig gestaltet. Hier sehen wir Nachholbedarf; um die Prinzipien nachhaltig im Unternehmen zu verankern, braucht es konkretere Vorgehensweisen mit praxisnahen Beispielen.
Lohnt sich der Umstieg auf ITIL 4?
Die Frage, die Sie sich stattdessen stellen sollten, ist: Was sind die Anforderungen an Ihr Unternehmen und Ihre IT-Infrastruktur?
Wenn sich verändernde Rahmenbedingungen eine kontinuierliche Herausforderung ist und das Tagesgeschäft von technologischen Neuerungen stark betroffen ist, sind agile Massnahmen gefordert. Diese lassen sich mit ITIL 4 unserer Meinung nach besser treffen als mit ITIL v3. Insofern macht es für Verantwortliche im IT-Servicemanagement durchaus Sinn, sich mit der neuen Iteration zu befassen. Wir empfehlen vor allem die "Foundation", um ein Gefühl für das Gesamtbild und die Terminologie zu entwickeln, während sich "Expert" und spezifische Module eher dann lohnen, wenn ein spezifischer Bedarf für ein konkretes Thema besteht.
Ist Ihr Ziel, sich auf Agilität auszurichten und den Kundenfokus zu erhöhen, so empfehlen wir zu prüfen, welche Elemente aus dem ITIL 4 Rahmenwerk in die Organisation übernommen werden können. Gerne helfen wir dabei, diese Fragestellung spezifisch für Ihr Unternehmen zu beantworten und eine geeignete pragmatische Vorgehensweise zu entwickeln.