Community Tokens als Geschäftsmodell für die Consultingbranche
26. Oktober 2022
Blockchains sind weit mehr als nur die Technologie hinter Bitcoin und anderen Kryptowährungen – die disruptive Innovation hat das Potenzial, sowohl unsere Geschäftswelt als auch soziale Strukturen zu transformieren.
Sogenannte Community Tokens ermöglichen es Künstlern, Incluencern, Vereinen und Gemeinschaften, eine eigene Währung zu schaffen, mit der sie sich selbst und ihre Marke monetarisieren können. Erfolgreich nutzt dies beispielsweise die Blockchain-basierte Content-Sharing-Plattform Steemit, bei der die Nutzer eine Doppelrolle als Teilnehmer und Teilhaber belegen. Das Ganze funktioniert über einen 3-Token-System, das wertvolle Aktivitäten in der Gemeinschaft belohnt und den Token-Besitzern Stimmrechte einräumt. Der Blockchain-basierte Musik-Streamingdienst Audius macht ebenfalls von dieser Technologie Gebrauch. Durch das dezentralisierte Protokoll werden Künstler ohne Zwischenhändler direkt mit den Fans verbunden. Mit seinem Token-System incentiviert Audius seine Nutzer, hochqualitative Musik über die Plattform zu teilen, schafft Transparenz über die Lizensierung und erlaubt es Künstlern, ihre Werke direkt zu monetarisieren. Wie Fussballclubs für ihre Fans mit digitalen Vermögenswerten soziale, visionäre und ökonomische Anreize schaffen, erläutert ein anderer Blogartikel zu einer Projektarbeit der FHNW über Community Tokens im Detail.
Doch was genau verbirgt sich hinter dem Begriff? Unter Tokens werden kryptografische, digitale Vermögenswerte verstanden, die eine Vielzahl von Funktionen haben können. Community Tokens bilden eine Unterkategorie von Tokens, die ihren Inhabern den Zugang zu einer bestimmten digitalen Gemeinschaft ermöglichen und ihnen exklusive Belohnungen sowie verschiedene Vergünstigungen bieten. Je nach Gemeinschaft erhalten die Besitzer von Community Tokens auch Eigentumsanteile und Mitbestimmungsrechte. Wie lassen sich nun diese Eigenschaften sinnvoll in Geschäftsmodelle integrieren?
Im Rahmen meiner Masterarbeit «A Blockchain-Based Incentive and Reward System to foster Community Building around a Consulting Company» an der FHNW habe ich mich mit genau dieser Frage beschäftigt und zeige am Beispiel von Consultingunternehmen wie Qudits auf, wie ein solches Token-Modell aussehen könnte und welchen Mehrwert es bietet.
Der «War for Talent» ist innerhalb wie ausserhalb der Consultingbranche eine Herausforderung. Insbesondere kleine und mittlere Beratungsunternehmen stehen mit den «Big 4» der Industrie in starker Konkurrenz. Letztere bieten hohe Löhne, interessante Karrieremöglichkeiten und ziehen Talente zusätzlich mit ihrer Reputation an. Tokens können am Fachkräftemangel selbst nichts ändern, sie schaffen aber attraktive und neuartige Möglichkeiten, mit der Startups einen Wettbewerbsvorteil kreieren können, der sie in ihrer Recruiting-Strategie unterstützt.
Mit einer Token-basierten Community müssen Talente nicht festangestellt werden, um ihr Wissen, ihre Skills oder ihr Netzwerk gewinnbringend für das Unternehmen einsetzen zu können. Entlohnt werden sie für ihre Tätigkeit mit digitalen Vermögenswerten, sprich Tokens. So könnten sich erfahrene Berater:innen beispielsweise neben der Haupttätigkeit flexibel in einem Consulting-Startup einbringen, was für beide Seiten nutzenstiftend ist und Risiken reduziert. Auch junge Talente (z.B. Uni-Absolvent:innen) können von diesem Modell profitieren, indem sie erste Erfahrungen sammeln und sich in der Community beweisen.
Etablierte Mitglieder könnten im späteren Verlauf bei gegenseitigem Interesse in einem verkürzten Verfahren eingestellt werden. Da diese bereits mit den Konzepten, Prozessen und der Kultur des Unternehmens vertraut sind, ist die Fluktuation bei diesen Personen tendenziell geringer, was auch damit verbundene Kosten reduziert.
Selbstverständlich können auch interne Mitarbeitende von diesem System profitieren. Durch Tokens werden sie motiviert und incentiviert, in einem flexiblen Umfeld eigenständig zu arbeiten und über ihr Aufgabengebiet hinaus hochqualitative Ergebnisse zu liefern. Damit wird eine moderne Arbeitswelt im Sinne von New Work geschaffen.
Im Rahmen meiner Thesis habe ich, gestützt durch Literaturrecherche und Experteninterviews mit Qudits als Consultingunternehmen wie auch mit unabhängigen IT-Berater:innen, ein Modell entwickelt, wie eine dezentrale und Token-basierte Community gewinnbringend eingesetzt werden könnte. Dabei handelt es sich um eine geschlossene Community, die sich als DAO mit festsetzten Regeln und Normen der Kollaboration organisiert. Die Mitglieder arbeiten gemeinsam an Herausforderungen und Aufgaben und haben die Möglichkeit, direkten Einfluss auf das System und dessen Entwicklung inklusive der Zulassung weiterer Mitglieder zu nehmen. (DAO steht für «Decentralized Autonomous Organisation», ein Blockchain-basiertes System zur Selbstkoordination und Selbstverwaltung über eine Reihe von selbstausführenden Regeln, die auf einer dezentralen Blockchain bereitgestellt werden.)
Die nebenstehende Darstellung veranschaulicht die Zusammenarbeit in der Community. Dabei wäre das Consultingunternehmen selbst Teil der Gemeinschaft, könnte Vorschläge unterbreiten, Ideen präsentieren oder Aufgaben ausschreiben. Angestellte wären ebenfalls Mitglieder und könnten sich durch das System über ihre Kerntätigkeit hinaus am Erfolg des Unternehmens beteiligen, indem sie beispielsweise Aufgaben ausserhalb ihres Fachbereichs übernehmen und damit mittels Tokens belohnt werden. Zusätzlich könnten sich auch nicht angestellte Talente, sogenannte Externe, an der Community und damit am Unternehmenserfolg beteiligen.
Als Incentivierungs- und Belohnungssystem ist ein 3-Token-System angedacht. Ein Platform Token bildet das Zahlungssystem der Gemeinschaft und kann wie eine Kryptowährung innerhalb der Gemeinschaft genutzt sowie am offenen Markt gehandelt werden. Ein Share Token verteilt Anteile am Unternehmen und/oder der Community und geht mit Gewinnbeteiligung sowie Stimmrechten einher. Dieser kann nur innerhalb der Gemeinschaft erworben und getauscht werden. Dessen Kauf und Verkauf an externen Kryptowährungsbörsen ist demnach nicht möglich. Ein Stable Token sorgt für die Stabilität des Systems, kann uneingeschränkt gehandelt werden und ist an eine Fiat-Währung gebunden. Zusätzlich zu den Tokens besteht ein Reputationssystem, das die Leistung der Mitglieder reflektiert, ihnen Einfluss in Form von Stimmrechten gewährt und nicht handelbar, sondern strikt personengebunden ist.
Die Community ist selbstorganisiert. Jedes Mitglied kann sich am Unternehmen beteiligen und bei relevanten Entscheidungen dank Token- und Reputation-basierter Stimmrechte mitentscheiden. Das stärkt das Zugehörigkeits- wie auch das Gemeinschaftsgefühl.
Die Qualitätskontrolle ist, wie obenstehende Darstellung zeigt, inhärent in das System integriert. Für abgeschlossene Aufgaben wird über die Community ein Feedback eingeholt. Grundsätzlich sind alle Mitglieder eingeladen, sich mit ihrer Meinung zu beteiligen, jedoch werden Bewertungen von Personen innerhalb derselben Arbeitsgruppe (Fachbereich) sowie mit höherer Reputation stärker gewichtet. Das Feedback selbst wird anhand vorab definierter Kriterien mit 5-Sterne-Rankings sowie erläuterndem Prosatext abgegeben. Feedbackgebende werden in Form von Tokens und Reputation für ihre Beteiligung belohnt und bestimmen durch ihre Bewertung über die Belohnung für die gelieferte Arbeit. Mangelhafte Ergebnisse werden nicht belohnt und böswillige Handlungen ziehen entsprechende Konsequenzen nach sich (z.B. Reputationsverlust, Beschlagnahmung von gestakten (eingesetzten) Tokens, der Ausschluss aus der Gemeinschaft etc.). Auf diese Weise entsteht ein System, das alle Mitglieder dazu incentiviert, hochqualitative Arbeiten bzw. konstruktive Kritik abzuliefern, die die Gemeinschaft stärken und so das Unternehmen zum Erfolg zu führen. Die nachfolgende Darstellung illustriert die sich dadurch bildende Wechselbeziehung zwischen einem Mitglied und der Gemeinschaft.
Um das Risiko von Gefahren wie 51%-Attacken zu reduzieren, wird auf Transparenz gesetzt. Verfügt ein Mitglied über einen hohen Anteil an Tokens, beispielsweise mehr als 10% aller im Umlauf befindenden Tokens, so wird dies im System bekannt gemacht. Dadurch kann ein Angriff per se nicht abgewendet werden, die für die Gemeinschaft öffentlichen Informationen ermöglichen aber die Selbstregulation innerhalb der Community.
Noch sind viele Fragen offen, wenn es darum geht, ein solches Modell in der Praxis einzuführen. Allgemeingehaltene Aspekte wie die Formeln zur Berechnung der Entlohnung müssten mit Bezug auf die Bedürfnisse und Kultur des Consultingunternehmens konkretisiert werden. Weiter gilt es abzuklären, ob sich für den spezifischen Zweck des Unternehmens ein geschlossenes oder ein offenes System eignet und ob Mitglieder sich anonym oder unter ihren Klarnamen beteiligen sollen.
Besonders kritisch ist der rechtliche Status anzusehen. Derzeit geniessen DAOs nicht dieselben Vorteile wie Unternehmen, beispielsweise im Sinne eines vereinfachten Steuerverfahrens. Der rechtliche Status könnte auch für die Mitglieder selbst eine Eintrittsbarriere darstellen, die den Erfolg des Vorhabens schmälern könnten. Insbesondere bei internationalen Communitys ist auch die Gerichtsbarkeit zu klären. Das WEF hat sich in seinem Bericht über die Vorteile und Risiken von DAOs bereits mit der Unsicherheit in der Rechtsprechung befasst und auch in der Schweiz arbeiten Wirtschaftsverbände bereits daran, Klarheit zu schaffen und den Rechtsschutz zu gewährleisten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Community Tokens ein interessantes, innovatives und zukunftsorientiertes Modell zur Zusammenarbeit in Consultingfirmen aber auch in Unternehmen anderer Bereiche bilden können. In der Beratungsbranche herrscht, wie Interviews im Rahmen der Thesis gezeigt haben, grosses Interesse an neuen und flexiblen Formen der Zusammenarbeit. Ich bin sehr gespannt darauf, die ersten Modelle dieser Art in den nächsten Jahren am Markt beobachten und selbst Teil davon werden zu dürfen.
Autor
Dejan Trifunovic hat 2022 seinen Master of Science in Business Information Systems an der Fachhochschule Nordwestschweiz abgeschlossen und sich im Rahmen seiner Thesis mit Blockchain-basierten Incentivierung- und Belohnungssystemen sowie dem Token-basierten Communitybuilding beschäftigt. Derzeit ist er als IT Business Analyst bei der PostFinance AG tätig.