HERMES 5.1 für Projekte unterschiedlicher Grösse
29. November 2022
HERMES 5.1 ist eine Methodik zur Führung und Abwicklung von vor allem IT-Projekten in der Bundesverwaltung der Schweiz im Einsatz ist. Sie basiert auf verschiedenen Szenarien, die abhängig von der Grösse und Charakteristik des jeweiligen Projekts die entsprechend notwendigen Aufgaben und Ergebnisse in Modulen zusammenfasst. Wie aber wählt man das passende Szenario und setzt eine effektive Projektstruktur auf? Genau mit diesen Fragen werde ich mich im Rahmen dieses Artikels auseinandersetzen.
Das Wichtigste zuerst: Bevor ein Projekt als gross oder klein eingestuft werden kann, gilt es diesen Begriff zu konkretisieren. Ein grosses Projekt definiert sich nicht ausschliesslich durch der Anzahl Personen in der Projektorganisation, sondern vor allem anhand der zu erreichenden Ziele, den damit verbundenen Ergebnissen und notwendigen Aufgaben, deren Risiken, Kosten und Maturität des jeweiligen Inhalts – Stichwort: Komplexität.
Der Hintergrund ist leicht erklärt: Führt man in der Organisation ein neues Tool ein, welches nur für ein spezifisches Team gedacht ist, ist die Anzahl Stakeholder und auch die Projektorganisation (je nach Software und Prozess) überschaubar. Dennoch benötigt es einiges mehr an Dokumentation, Planung und Anpassung der Organisation, als bei der Aktualisierung einer bestehenden Software. Im Umkehrschluss kann eine Softwareaktualisierung eine grosse Projektorganisation benötigen, da gegebenenfalls verschiedene Instanzen, Kunden und Rollen betroffen sind, der Dokumentations-, Planungs- und Controllingumfang nimmt damit aber nicht linear zu.
Diese Prämisse ist der Ausgangspunkt für die Anwendung von HERMES 5.1 auf Projekte unterschiedlicher Grösse.
Das generelle Vorgehen innerhalb von HERMES 5.1 sieht während der Initialisierung eines Projektes die nachfolgenden Schritte vor:
1. Auswahl des Szenarios
2. Auswahl der Module mit den thematisch dazugehörigen Aufgaben, Ergebnissen und Rollen
3. Rollenbesetzung
4. Durchführung des Projektes entsprechend des gewählten Szenarios auf Basis des Projektauftrages
Dem füge ich nach der Auswahl der Module jeweils einen Zwischenschritt hinzu: die Anpassung Vorgehensweise. Dahinter verbirgt sich die sinnvolle Kombination der einzelnen Ergebnisse, je nach Projektgrösse und Komplexität. Daraus ergibt sich die Qudits-Vorgehensweise:
In den nachfolgenden Kapiteln werde ich die von mir empfohlenen Ergebnisumfänge und damit verbundenen Dokumentationen für Projekte verschiedener Grösse erläutern und aufzeigen, wie diese die Effizienz, Effektivität und die Erreichung des Projektzieles unterstützen. Zusätzlich werde ich aufzeigen, wie HERMES 5.1 mit der Wahl des richtigen Szenarios gut auf Projekte unterschiedlicher Grösse und Komplexität und mit verschiedenen Zielsetzungen anpassbar ist. Nicht betrachten werden ich dagegen die Rollenbesetzung, da diese meiner Meinung nach im HERMES 5.1 Referenzhandbuch gut geregelt ist. Hervorheben möchte ich daraus zwei Passagen: „Sie berücksichtigt die im Projekt erforderliche Erfahrung, die benötigte Kapazität und die Verfügbarkeit der Rolleninhaber“ und „Eine Person kann mehrere Rollen wahrnehmen, sofern die Rolle eine Mehrfachbesetzung zulässt“. Dies gibt der Projektleitung den notwendigen Spielraum, um die Rollenaufteilung und Besetzung effizient und effektiv zu gestalten.
Die untenstehende Abbildung zeigt die Minimalergebnisse pro Modul gemäss dem HERMES 5.1 Referenzhandbuch. Anhand dieser Liste lässt sich nachfolgend verdeutlichen, wo es Potentiale zur Effizienz und Effektivitätssteigerung durch das Kombinieren von Ergebnissen gibt.
Schon der erste Prozessschritt ist ein entscheidender Punkt, um das Projekt effektiv aufzusetzen – die Szenariowahl. Hier besteht aufgrund der Unsicherheit, welches Szenario zutreffend ist, die Tendenz, sich ein individuelles Szenario zusammenzubauen. Das Ergebnis ist dann oft, dass mehr zu erreichende Ergebnisse innerhalb der Module festgelegt werden als eigentlich notwendig wäre. Dies führt zu Einbussen in der Effizienz und Effektivität.
Lassen Sie mich zur Verdeutlichung einige Praxisbeispiele aus unseren Projekten heranziehen und diese dem jeweiligen Standardszenario von HERMES 5.1 zuordnen:
Projektbeschreibung: Kantonsweite Harmonisierung durch Einführung einer Standardsoftware, die weitgehend bekannt ist, und zwar viele Anforderungen sowie Stakeholder enthält, die Umsetzung aber im Standard erfolgen kann
Szenario: IT-Standardanwendung
Projektbeschreibung: Bereitstellung der Infrastruktur für die Einführung digitaler Arbeitsplätze nach kantonal einheitlichem Standard, die gesamte Infrastruktur soll auf eine virtuelle Arbeitsumgebung ausgelagert werden
Szenario: IT-Infrastruktur
Projektbeschreibung: Digitalisierung des Gesuchvorgangs eines neuen Gesetzes, weshalb es nicht möglich ist, auf bestehendes oder bekanntes zuzugreifen, hinzu kommt die individuelle Entwicklung des Tools, bei dem sich die Anforderungen erst im Verlauf des Projekts klar definieren lassen
Szenario: IT-Individualanwendung agil
Wenn das Szenario festgelegt ist, wird auch die Anzahl Module und der damit geforderten Ergebnisse automatisch besser definiert und die Projektdurchführung kann dadurch effizienter und effektiver gestaltet werden.
Als nächstes möchte ich das Augenmerk auf diejenigen Ergebnisse legen, welche immer erstellt werden sollten, unabhängig der Projektgrösse/Komplexität. Vorneweg: Die Projektentscheide Steuerung sowie Führung und Ausführung sind elementar, um die richtigen Entscheide auf der richtigen Ebene zu treffen und werden deshalb nachfolgend nicht ausgeführt. Die Betrachtung der Minimalergebnisse erfolgt der Einfachheit halber pro Phase.
Der Projektauftrag stellt die verbindliche Projektgrundlage dar und ist die Rechtfertigung für die Notwendigkeit des Projektes, zusätzlich stellt er die Analyse der Ausgangslage zur Verfügung.
Der Projektinitialisierungsauftrag ist notwendig, damit die Projektleitung aufzeigen kann, dass sie den Auftrag verstanden hat und sie diesen wie zusammengefasst durchführen will.
Das Einführungskonzept ist wichtig, um aufzuzeigen, wie die Organisation bzw. der Prozess nach der Veränderung aussehen wird. Es beschreibt das Vorgehen zur Veränderung und die Massnahmen.
Die Systemanforderungen, der Product Backlog oder eine Prozessbeschreibung münden in die jeweilige Umsetzung oder Beschaffung und ist zur Detaildefinition unerlässlich.
Das Betriebs-/Anwenderhandbuch stellt alle betriebs-/anwendungsrelevanten Informationen dar, sodass Software, Produkt oder Dienstleistung effektiv genutzt/betrieben werden können.
Das Abnahmeprotokoll am Ende der Realisierung stellt vor der Einführung sicher, dass alle Anforderungen abgedeckt worden sind.
Das Abnahmeprotokoll stellt vor der operativen Inbetriebnahme sicher, dass alles umgesetzt worden ist (siehe auch: Realisierung).
Der Projektmanagementplan ist das zentrale Ergebnis. Er bildet die Rahmenbedingungen ab und schafft Transparenz über das Timing, alle Aktivitäten und die damit verbundenen Ergebnisse.
Die Änderungsstatusliste wird vor allem bei kleinen Projekten oft unterschätzt, aber Änderungen können einen grossen Einfluss auf die Rahmenbedingungen und/oder Zielerreichung haben, daher müssen sie evaluiert und dokumentiert werden.
Die Projektstatusberichte sind absolut hilfreich, um alle Stakeholder regelmässig auf den aktuellen Stand zu bringen und involviert zu halten.
Die Phasenberichte sind wichtige Ergebnisse, um das Projekt jeweils mit der Zielsetzung, Rechtsgrundlage, Wirtschaftlichkeit, und der weiteren Planung zu überprüfen.
Die Projektschlussbeurteilung dient der Projektleitung und Organisation als Instrument, um zu zeigen, was man welchen Mitteln, in welcher Zeit erreicht wurde und ob die Zielsetzung insgesamt erfüllt wurde. Alternativ ist das Ergebnis ebenso wichtig, wenn ein Projekt gestoppt wurde, um die Gründe, Kriterien und Abweichungen aufzuzeigen, die sich im Projektauftrag ergeben haben.
Diese meiner Erfahrung nach kritischen Minimalergebnisse können mit zusätzlichen Ergebnissen kombiniert und so skalierbar an die Projektgrösse und Komplexität angepasst werden. Dazu einige Beispiele:
Die Stakeholderliste könnte in den Projektmanagementplan integriert werden, da dort unter anderem auch der Kommunikationsplan enthalten ist, welcher aufzeigen sollte, wie der Kontakt mit verschiedenen Stakeholdern geplant ist.
Die Studien zur Schutzbedarfs- und Rechtsgrundlagenanalyse können bereits im Projektinitialisierungsauftrag mit aufgenommen werden und müssen nicht zwangsläufig separat erstellt werden.
Das Einführungskonzept kann auch mit dem Geschäftsorganisations- und dem Produktkonzept kombiniert werden. Es sollte generell nicht nur die Schritte zur Einführung beschreiben, sondern auch einen Blick auf das Ergebnis gewähren, sodass dieses Dokument sehr gut erweitert werden kann.
Dies sind nur einige Ansätze, aber es gibt viele Möglichkeiten, die HERMES 5.1 gut für Projekte unterschiedlicher Grösse anwendbar machen – je nachdem mit mehr oder weniger Ergebnissen/Dokumentation. Bei diesem Punkt kommt auch der Aspekt der Komplexität ins Spiel. Projekte mit einem herausfordernden Ziel benötigen zusätzlich Ergebnisse, um aufeinander aufzubauen beziehungsweise das Projekt weiterentwickeln. Des Weiteren können diese Ergebnisse das Tracking unterstützen und detaillierter aufzeigen, was alles getan werden muss, um das Projektziel zu erreichen.
Im Folgenden möchte ich die drei oben genannten Projekte, welche wir gemäss HERMES 5.1 durchführen, etwas genauer vorstellen und Ihnen einen Einblick geben, weshalb wir sie entsprechend klassifiziert haben. Beginnen wir mit den Eckdaten:
Projektorganisation: 6 Personen
Komplexität: Gering (Umsetzung erfolgt im Standard)
Grössen-Klassifizierung: Klein
Projektorganisation: 15 Personen
Komplexität: Mittel (Anforderungen sind bekannt und gut planbar, jedoch eine Vielzahl an Stakeholdern sowie eine grosse Projektorganisation vorhanden)
Grössen-Klassifizierung: Mittel
Projektorganisation: 9 Personen
Komplexität: Hoch (kein Standard, Anforderungen müssen agil erarbeitet werden)
Grössen-Klassifizierung: Gross
Der Umfang der HERMES 5.1 Ergebnisse variiert in diesen Projekten entsprechend der Projektgrösse und dem gewählten Szenario. So enthält das Projekt «Implementierung eines kantonsweiten Monitoringsystems» nur die für uns minimal relevanten Ergebnisse. Grund ist, dass eine Standardsoftware eingeführt wird, welche weitestgehend bereits bekannt ist (das Projekt hat auch einen Harmonisierungshintergrund) und die zu implementierenden Anforderungen sind zwar in der Zahl viele, ebenso wie die Stakeholder, aber die Umsetzung kann im Standard erfolgen. Aufgrund der geringeren Komplexität sowie der überschaubaren Projektorganisation erfolgt die Klassifizierung als kleineres Projekt und die Definition der Ergebnisse wurde entsprechend reduziert.
Darauf aufbauend ist der Umfang der Ergebnisse für das mittlere wie auch grosse Projekt entsprechend erweitert. Das Projekt «Digitalisierung des Gesuchstellung» ist hochkomplex, wird als gross klassifiziert und umfasst dementsprechend auch die meiste Anzahl an Ergebnissen. So müssen zusätzlich zum Beispiel eine Situationsanalyse, eine Detailspezifikation, eine Lieferantenvereinbarung oder auch eine Prototypdokumentation erstellt werden. Der Ergebnisumfang und die Komplexität begründen sich dadurch, dass das Gesetz, dessen Gesuchvorgang digitalisiert werden soll, komplett neu ist. Dadurch kann nicht auf bestehendes oder bekanntes zurückgegriffen werden. Hinzu kommt die individuelle, agile Entwicklung des Tools, bei dem sich die Anforderungen erst im Verlauf des Projektes klar definieren lassen.
Das Projekt «Einführung digitaler Arbeitsplätze» beschäftigt sich insgesamt mit der Bereitstellung virtueller Arbeitsplätze, bezieht sich aber im für uns relevanten Teilprojekt vorwiegend auf die Digitalisierung/Automatisierung des Bestellvorgang sowie der zur Verfügungstellung der Clients an die jeweiligen Anwender. Entsprechend ist der nicht-digitale Prozess und somit die Anforderungen bekannt, weshalb das (Teil-)Projekt weniger komplex ist als die oben beschriebene «Digitalisierung der Gesuchstellung». Des Weiteren steht das Tool zur Bestellabwicklung schon zur Verfügung und muss nur angepasst werden. Komplex wird das Projekt vor allem durch die notwendige Grösse der Projektorganisation sowie die verschiedenen betroffenen Instanzen, Kunden und Rollen. Entsprechend nimmt der Planungsaufwand im Vergleich zur oben genannten «Implementierung eines kantonsweiten Monitoringsystems» zwar nicht linear zu, jedoch erhöht sich hier der sinnvolle Dokumentations- und Controllingumfang.
Wie diese konkreten Beispiele zeigen, lässt sich HERMES 5.1 flexibel an die Komplexität (Grösse) anpassen, um die Projektdurchführung sinnvoll zu gestalten. Wichtig ist dabei die richtige Kombination von Ergebnissen mit der richtigen Mischung an Dokumentation und Fokussierung auf die eigentlichen Aktivitäten. Allerdings birgt jedes Tailoring Chancen und Risiken. Um die Chancen des Tailorings bestmöglich zu nutzen, bedarf es einer guten Vorbereitung innerhalb der Initialisierung, einer zweckmässigen Dokumentation der Ergebnisse und einer Minimierung der Risiken durch transparente Kommunikation, Empathie und Wissenstransfer. Damit sichern Sie den nachhaltigen Erfolg Ihrer Projekte.
Autorin
Julia Heumos
Julias Beratungsschwerpunkte liegen darin, wirksame Organisationen zu etablieren, High-Performance-Teams zu entwickeln und ihre Ergebnisorientierung zu stärken. Damit führt sie Programme und Projekte zum Erfolg und treibt die Digitale Transformation ihrer Kunden voran.