Die viel unterschätzte Initialisierungsphase
24. Januar 2023
„Die Entfernung ist unwichtig. Nur der erste Schritt ist wichtig.“
Marquise du Deffand
Projekte sind klassisch in die Phasen Initialisierung, Planung, Durchführung und Abschluss unterteilt. Zusätzlich gibt es eine Phase, die alles umspannt: Monitoring und Controlling.
Wenn ich meine Kunden, Partnerunternehmen oder auch Menschen im persönlichen Umfeld befrage, welches die kritischste oder auch wichtigste Phase eines Projekts ist, bekomme ich meist die Antwort: die Durchführung – denn hier läuft alles zusammen, die Implementierung geht von statten, es werden Tests gemacht und so weiter. Das ist auch absolut nicht von der Hand zu weisen. Was aber, wenn ich Ihnen sage, dass die Initialisierung in einem Projekt die wichtigste Phase ist? Würden Sie mir zustimmen?
Meiner Erfahrung nach wird die Initialisierungsphase in Projekten meist unterschätzt. Lassen Sie mich erklären, warum es sinnvoll ist, hier entsprechend Zeit und Aufwand zu investieren: Viele Punkte, die in der Durchführung oft eine gewisse Herausforderung mit sich bringen, wie zum Beispiel die Risiken, der Kommunikationsumfang oder das Managen schwieriger Stakeholder können durch gute Vorbereitung in ihrem Effekt während der Durchführung abgemildert oder sogar komplett umgangen werden.
Stellen wir uns vor, eine Projektleiterin hat das Kick-off durchgeführt, in dem sie den Projektplan, die Arbeitspakete, deren Timing und Abhängigkeiten sowie den Kommunikationsplan vorgestellt hat. Soweit scheint alles in Ordnung zu sein, aber dann geht es in die Diskussion:
Was ist schief gegangen? Lassen Sie uns zunächst die Theorie heranziehen: das Kick-off stellt den Abschluss der Initialisierungsphase dar und sollte alle relevanten Themen umfassen, sodass das gesamte Projektteam einen Überblick hat, was wann durch wen und wie zu erfolgen hat (inklusive den Kommunikationskanälen, Abhängigkeiten und Risiken). Als Input sollte dabei der Project Charter dienen, der wiederum die Basis/Begründung liefert, warum das Projekt durchgeführt wird. Am Ende sollten in der Phase also die Durchführbarkeit sowie die Grundlagen für das Projekt auf die Probe gestellt worden sein, sodass eine Entscheidung herbeigeführt werden kann, ob das Projekt wirklich durchgeführt wird – wenn ja, wird die Initialisierung mit dem besagten Kick-off abgeschlossen.
Nimmt man die Theorie wörtlich, könnte das, was die Projektleiterin im obigen Beispiel geliefert hat, ausreichen. Dennoch gibt es schon zu Beginn Unstimmigkeiten, die sich im weiteren Verlauf des Projektes ausweiten würden, wenn sie nicht umgehend eingefangen werden. Daraus kann man schlussfolgern: es braucht mehr, als uns die Theorie lehrt.
Schauen wir uns die Anliegen Schritt für Schritt an:
Allein diese wenigen Beispiele zeigen bereits, dass die Initialisierungsphase viel mehr ist als einfach nur: „Wir starten das Projekt mit ein paar Eckpunkten.“
Berichten zufolge – unter anderem vom Lieferanten der Projektmanagement-Software Asana oder auch von ProjectManagement.com – sind drei der häufigsten Gründe für das Scheitern von Projekten:
Kommt Ihnen das bekannt vor beziehungsweise finden Sie das in den oben beschriebenen Punkten wieder? Diese Themen sind auch meiner Erfahrung nach nur schwer im Verlauf des Projektes wiedergutzumachen, daher ist es umso wichtiger, in der Initialisierungsphase die entsprechenden Grundlagen zu schaffen.
Erfahrungsgemäss betrachten viele Projektmitarbeitende (nicht zwingend die Projektleitung) und erweiterte Stakeholder die Initialisierungsphase eher als Findungsphase, in welcher es hauptsächlich darum geht, sich gegenseitig kennenzulernen und abzustimmen, wen und was es braucht und wer bis wann mit seinen:ihren Aufgaben fertig ist. Ausserdem würden alle am liebsten sofort loslegen und sehen oft nicht den Nutzen, den ein sauberer Projektplan jedem:jeder bietet. Verdenken kann man ihnen da nicht, denn jede:r hat unglaublich viel zu tun, viele Meetings und viele Aktivitäten.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet, kann die Projektleitung darauf zurück schliessen, dass niemand etwas dagegen hat, wenn zum Beispiel die Kommunikation (die Anzahl Meetings, Häufigkeit von Status Reports und weitere Themen) oder auch Absprachen zu Abwesenheiten lean gestaltet werden. Dies, zusammengefasst, bringt mich zu den Punkten, welche ich innerhalb der Initialisierung für den Projekterfolg als wichtig erachte:
Stakeholder Management: Schon bevor das Projekt in die Planung oder Durchführung geht, ist es wichtig, soweit möglich mit allen potenziellen Stakeholdern einmal persönlich zu sprechen. Dies gilt vor allem für die zentralen Stakeholder entsprechend der Stakeholdermap/-liste, wobei auch die Stakeholder mit wenig „Power“ und „Interest“ nicht ausser Acht gelassen werden sollten.
Persönliche Gespräche helfen, um schon zu Beginn Abhängigkeiten, Fähigkeiten sowie Know-how-Stände und Unstimmigkeiten einzuschätzen bzw. zu erkennen und diese dann entsprechend im Kommunikationsplan, der Planung allgemein sowie der Zuteilung der Arbeitspakete zu berücksichtigen.
Risikomanagement ist ein häufig unterschätzter Punkt, gerade bei kleinen Projekten. Als Projektleitung sollten Sie sich so früh wie möglich Gedanken über diese machen und sie transparent aufzeigen, egal wie klein sie erscheinen mögen, sie transparent aufgezeigt. Über den Projektverlauf sollten diese via Risikolog auch immer wieder reviewt werden.
Durch diesen Punkt können Risiken sowie Massnahmen zu deren Mitigierung von vornherein eingeplant werden. Das ermöglicht es, im Monitoring & Controlling frühzeitig auf aufkommende Issues zu reagieren, diese dann entsprechend ebenfalls einzuplanen oder Massnahmen zu ergreifen. Gleichzeitig kann man sich am Ende auch auf den Risikolog berufen und klar aufzeigen, was gegebenenfalls trotzdem eingetreten ist und warum.
Initiale Planung: Auch mit Hinblick auf die erste Planung ist es bereits sehr wichtig, dass jede:r weiss, wann die jeweilige Aktivität, durch wen durchzuführen ist und mit welchen Abhängigkeiten. Hier sind dann auch Abwesenheiten, Vertretungsregelungen und ähnliches zu besprechen und entsprechend einzuplanen.
Gerade Abwesenheiten sind nicht immer frühzeitig in den Kalendern der Stakeholder vermerkt. Manchmal findet die Durchführung des Projektes auch erst im nächsten Jahr oder in ein paar Monaten statt, weshalb sich viele zum Zeitpunkt der Projektplanung über Urlaube noch keine Gedanken gemacht haben.
Annahmen: Das Dokumentieren von Annahmen (zum Beispiel im Projektmanagementplan), auf welchen schon die initiale Planung beruht, hilft von Anfang an auf Changes zu den ursprünglichen Rahmenbedingungen einzugehen und die Eventualitäten aufzuzeigen.
Nicht absolut jedes Detail ist bis zum Kick-off bereits geklärt beziehungsweise es gibt auch Punkte, die „durchrutschen“ (da wir alle nur Menschen sind, kann auch bei vorherigen Absprachen durchaus ein Input vergessen werden). Die Dokumentation hilft dabei, zum Beispiel den angenommenen Aufwand oder die Umstände aufzuzeigen und unterstützt auch die Abstimmung der Timelines sowie das Aufzeigen von verschiedenen Szenarien bei der Durchführung des Projektes.
Erwartungsmanagement ist ein Punkt, welcher in der Projektmanagementheorie so nicht betrachtet wird. Dabei geht es mehr um die Zwischenmenschlichen oder auch organisatorischen Punkte, welche nicht direkt einem Deliverable zugeordnet werden können. Auch das Thema der Kommunikation spielt hier stark mit rein. Die zentrale Fragestellung an Stakeholder lautet: „Was sind Ihre generellen Erwartungen an das Projekt bzw. Projektteam oder die Projektleitung?“
Einige Beispiele: Die Abfrage von Anwesenheiten, also wann das Projektteam vor Ort sein soll oder auch in welchen Zeiten erwartet die Stakeholder eine Verfügbarkeit/Reaktion erwarten, die Darstellungen des Status Reports oder generell die Bevorzugung von Diagrammen und/oder Textform sowie auch die besten Kommunikationswege. Möchte er:sie immer im CC sein oder lieber einmal gebündelt im Meeting auf Stand gebracht werden? Das alles sind Erwartungen, welche man im Vorfeld abfragen und berücksichtigen kann, was wiederum zum Projekterfolg beiträgt.
In der Initialisierungsphase geht es also, zusätzlich zur oben aufgezeigten Theorie, darum, mit allen Stakeholdern soweit möglich schon einmal zu sprechen, die Erwartungen von beiden Seiten her zu definieren sowie Risiken und Annahmen zu treffen und zu dokumentieren, um so eine feste Basis zu schaffen. Kurzum, es geht darum, die Rahmenbedingungen bereits weitestgehend festzustecken. Mich erinnert diese Phase immer an den Spruch: „Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance.“ Genau das gilt auch im Projektmanagement.
Autorin
Julia Heumos
Julias Beratungsschwerpunkte liegen darin, wirksame Organisationen zu etablieren, High-Performance-Teams zu entwickeln und ihre Ergebnisorientierung zu stärken. Damit führt sie Programme und Projekte zum Erfolg und treibt die Digitale Transformation ihrer Kunden voran.